Gegen Petitionen. Auch gegen Gegenpetitionen. #idpet

Es war irgendwann im Dezember des vergangenen Jahres, als auf einem E-Mailverteiler einer großen deutschen Grundrechtepartei hieß: „Diese Petition schlägt ja etwas Wellen.“ Die Rede war von der homophoben Petition auf openPetition.de, die man getrost als völlig Gaga und verworren bezeichnen könnte, wäre sie nicht dermaßen von abgrundtiefer, boshafter Menschenfeindlichkeit durchsetzt und manipulativ verlogen, daß man sie nur als giftig klassifizieren kann. Wenn nicht sogar volksverhetzend. Ganz zu schweigen von den Kommentaren, aber dazu (und überhaupt) lest bitte Hatespeech ist keine freie Meinungsäußerung. Die erste Reaktion auf besagter Mailingliste war denn auch „Da platzt mir doch glatt die Hutschnur! So eine homophobe Kackscheiße! Hat der Mensch die Verfassung, auf die er geschworen hat, auch gelesen?“

Normalerweise wäre die Geschichte hier beendet gewesen. Petitionen gibt es wie den Sand am Meer, in dem sie für gewöhnlich verlaufen. Auch die dafür notwendigen Petitionsportale sprießen an allen Ecken und Enden wie Pilze aus dem Boden. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um nichts weiter als unverbindliche Unterschriftensammlungen. Der Begriff „Petition“ verschleiert dies leider, denn Folgen haben sie, anders als e-Petitionen an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages, keine: Egal welches Quorum gesetzt oder erreicht wird, egal wer als Adressat genannt wird, niemand muß sich auch nur durchlesen, was da so alles petiert und signiert wird.

 

Und zuständig wird man davon auch nicht:

 

Das bringt uns gleich zum zweiten Problem: Nichts wird signiert, auch wenn Begriffe wie „unterschreiben“ oder „mitzeichnen“ dies suggerieren. Es werden lediglich Buchstaben in Formularfelder eingegeben, die dann gespeichert werden. Die Anzahl dieser Datensätze wird dann „Anzahl der Unterzeichner“ genannt. Immerhin, bei campact.de, wo nun auch eine Gegenpetition, die der Landesregierung Mut machen will, läuft, lässt man sich wenigstens den Empfang einer E-Mail bestätigen: „Ihre Bestätigung ist wichtig für das politische Gewicht dieser Aktion. Nur so können wir glaubhaft machen, dass hinter jedem Teilnehmer auch tatsächlich ein Mensch steht.“ Könnt Ihr nicht. Leider. Im Gegenteil: Leichter wäre es, glaubhaft zu machen, daß hinter allen Teilnehmern ein einziger Mensch steht – genug E-Mailadressen und ein wenig Programmierkenntnisse vorausgesetzt.

 

Bei openPetition.de kann man sich immerhin mit dem neuen, elektronischen Personalausweis verifizieren: „Sie benötigen dazu einen neuen Personalausweis mit aktivierter eID Funktion und PIN, einen Kartenleser, die AusweisApp und in Ihrem Browser muss die Speicherung von Cookies erlaubt sein. Die Identifizierung mit dem neuen Ausweis erfolgt in mehreren Schritten.“ Nichts leichter als das. Nutzt man diese einfache Möglichkeit nicht, sondern gibt einfach nur seine (oder irgendwelche) Daten ein, muss man noch nicht einmal eine E-Mailbestätigung klicken, um in der Liste der Unterzeichner aufzutauchen. Die Anbieter von Wegwerf-E-Mailadressen freut das gewiss nicht.

Wer aber freut sich? Die Leute, die da mitmachen. Und das ist das dritte und größte Problem: (In den meisten Fällen) wertvolle Energie für bürgerschaftliches Engagement wird einfach so verbraucht. Erst wird „unterschrieben“, dann werden Freunde und Bekannte per E-Mail und sozialmedial darüber in Kenntnis gesetzt. Und man hat richtig was getan. Ganz mutige „unterzeichnen“ öffentlich. (Oder ganz dumme, wie die inzwischen mutmaßlich über 100.000 Leute, die sagen „Seht her, ich stehe mit meinem Namen für Hass, Homophobie und Menschenfeindlichkeit!“) Und dann ändert sich auf Grund der ersten zwei Probleme: genau gar nichts. Das ist noch weniger, als bei der klassischen Unterschriftensammlung auf dem Marktplatz, nach der sich wenigstens ein Politiker bei der Übergabe dicker Ordner mit Unterschriftenlisten fotografieren lassen kann. Um dann nichts zu tun.

Das ist kein Aktivismus, das ist Aktionismus. Das ist Gesetztheit, wo ein Aufstand angebracht wäre.

Auf die Spitze der Absurdität wird dieser Petitionismus jedoch in dem Moment getrieben, wo es Petitionen gegen Petitionen gibt, wie es jetzt in diesem Fall geschieht. Was soll das? Beide Petitionen haben als Quorum 100.000 „Unterzeichner“. Dort steht wörtlich „100.000 benötigt“. Wofür? Wenn beide Petitionen diese ominösen 100.000 erreichen, dann wissen wir, daß jeder Zweite Mensch in Baden-Württemberg für gruppenbezogene Hetze empfänglich ist. Schönen Dank auch. Das ist nichts weiter als ein ideologischer, und man verzeihe mir als solidarischem Heterich dieses Wort, Schwanzvergleich, der theoretisch zu Auswertungen wie dieser hier führt:

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Ich möchte das nicht.

Ich möchte, daß alle lieben können, wen sie wollen, ohne dafür auch nur einen Millimeter bewertet zu werden. Und dafür müssen wir mehr mit Menschen sprechen. Auch und besonders mit denen, die auf die Hetzpetition hereingefallen sind. Dafür gibt es, das sollte bis hier hin klargeworden sein, mehrere Gründe: Die Hetze selbst wie auch ihren aktionistischen Verbreitungsweg über eine Petition, die normalerweise nichts aus-, hier aber Schaden anrichtet. Bei  der Gelegenheit ließe sich dann auch mal wieder diskutieren, auf welchem Weg zu welcher Form direkter Demokratie wir sein wollen. Sie ist gut, wenn sie aktiviert und vernetzt. Aber sie ist schlecht, wenn sie irgendwo zwischen Shitstorm und Pogrom Hass säht.

Übrigens, für meine Freiburger Leser: Ihr findet Eure Nachbarn zur Zeit auf Seite 34/35 der Unterzeichnerliste, alphabetisch nach Vornamen geordnet. Warum auch immer. Eure Professoren findet Ihr unter „P“.