Twitterer on the Ground.

Ob Mubaraks Zeit in Am und Würden vorbei ist kann bei aller Euphorie heute noch niemand seriös beurteilen. Daß der lange Arm des Westens, allen voran der USA, langsam müde wird ist hingegen offensichtlich, schreibt Stefan Kornelius in der Süddeutschen. Wie immer kann ich mich auch hier bei beiden Allgemeinweisheiten auch völlig geirrt haben. Äußerst spannend ist jedoch der Meta-Diskurs über die mediale Verwurstung der dramatischen Ereignisse im Pyramidenstaat: Die ist nämlich in der Tat vielleicht nicht revolutionär, aber Phänomen einer Revolution, die nicht einfach so im Sande verlaufen wird, wie es in Kairo und Alexandria zumindest nicht völlig ausgeschlossen scheint.

Das Versagen der Altmedien

Das Versagen des deutschen Fernsehsender fasst Thomas Lückerath im Medienmagazin DWDL zusammen: Die finanziellen Mittel reichen aus verschiedenen Gründen insbesondere bei den privatwirtschaftlich organisierten Nachrichtensendern für eine umfassende Berichterstattung schon länger nicht mehr aus. Vorbei die Zeiten von Hochwasser24 und Deichbruch-tv. Anders ist es bei den öffentlich-rechtlichen, die nicht nur hervorragende Journalisten stets in alle Welt entsandt haben, sondern mit ihren Digitalkanälen auch die Kapazitäten für mehr als einen kurzen Brennpunkt am Abend vorhalten. Vor diesem Hintergrund erscheint die Prioritätensetzung zumindest merkwürdig, auch im Vergleich mit anderen dramatischen Eriegnissen wie beispielsweise Ballacks Knie zur Fußballweltmeisterschaft.

Gleichwohl halte ich es für verfehlt, in einem Rundumschlag von einem „Versagen der deutschen Medien“ zu sprechen. Der Presseclub am Sonntag beispielsweise widmete sich in spontan hervorragender Besetzung von vielen Seiten den Ereignissen in Ägypten, so daß man sogar erkennen konnte, daß wir nicht wissen, wieviel wir nicht wissen. Ich glaube wir sitzen hier einem Definitionsproblem auf: Was sind denn eigentlich „die deutschen Medien“? Gab es da nicht neulich noch soetwas wie Globalisierung? Sehr viele deutsche Medienkonsumenten können (auf Empfangs- und Sprachebene) einem Fernsehprogramm in englischer Sprache folgen. Macht das nicht Al Jazeera English, dem in Katar beheimateten Nachrichtensender aus dem arabischen Raum, dem für seine Berichterstattung aus Ägypten schon jetzt der eine oder andere Medienpreis zugesprochen werden könnte, nicht zu einem „deutschen Medium“? Daß es auf eine eventuelle Voreingenommenheit von Al Jazeera nicht so sehr ankommt wie einige meinen hat Don Dahlmann heute präzise dargestellt und eingeordnet. Und wir sind immernoch nur beim Fernsehen. Wir sollten uns einigen: Auf ein Versagen der deutschen Altmedien.

Unser Mann in Kairo

Seit heute haben wir nämlich selbst unseren eigenen Mann in Kairo. Es handelt sich um den Blogger mit Redaktionshintergrund Richard Gutjahr. Und wir, das sind die deutschen Medien und Medienkonsumenten an der Stelle wo beide zusammentreffen. Wir nennen es digitale Öffentlichkeit und meinen Öffentlichkeit. Nicht nur angesichts der Roamingkosten, die auf Gutjahr zukommen dürften (anscheinend ist er der Einzige in Ägypten, der noch ein funktionierendes iPhone hat) erleben wir hier, so glauben viele, spendenfinanzierten Bürgerjournalismus. Andere, Nico Lumma etwa, tun seinen Einsatz unsachlicher Weise als Selbstdarstellung ab. Ich halte seine Kritik aus mehreren Gründen für vollkommen verfehlt. Zunächst einmal ist Gutjahrs Aktion aus naheliegenden Gründen nicht vollkommen ungefährlich, ein direkter finanzieller Gewinn zumindest unwahrscheinlich.

Der Knackpunkt ist jedoch: Selbstdarstellung gehört dazu. Wir nennen das zur Zeit Social Media. Wenn der Journalist selbst, als Person, zur Marke wird, zum Aushängeschild für Glaubwürdigkeit und Authentizität, er also abgekoppelt ist von der an Bedeutung verlierenden Marke des Mediums in dem er publiziert, dann gehört die Selbstdarstellung nicht nur zum System, dann ist sie das System und nicht mehr Selbstdarstellung. It’s the Power of the Network, die das System Mubarak ins wanken gebracht hat, die den Tunesiern hoffentlich im Ergebnis mehr Freiheit gebracht haben wird und die auch den Journalismus ziemlich offensichtlich umkrempelt. Die laut tweetmeme aktuell über 460 Retweets von

@gutjahr: On my way to Cairo. | G! http://bit.ly/fJEIkl

sind nicht etwa unreflektiert, wie Lumma sie verunglimpft, sondern nicht mehr aber auch nicht weniger als ein Ausdruck von Glaubwürdigkeit und Authentizität.

Spannend.