Wir sind.

Zugegeben, es ist mittlerweile müßig, die Absurditäten rund um das unrunde Uni-Jubiläum zu kommentieren. Sie sprechen für sich. Heute aber bekam ich etliche Meinungen dazu mit und noch mehr wurden an mich herangetragen. Also erzähle ich einfach mal meine Sicht der Dinge.

Bei der WM 2007 geht es um keine Weltmeisterschaft in keiner Ballsportart, sondern um die Wissenschaftsmeile 2007. Diese 190 Meter lange Meile ist eine Reihe von Zelten auf dem eigens gesperrten Rotteckring, in denen sich die Uni und die Jubiläumssponsoren der Freiburger Öffentlichkeit präsentieren sollen. Ein Kommentar zu einem Artikel bei fudder.de bringt es auf den Punkt: Bis auf die Sponsoren ist das auch nichts anderes als ein herkömmlicher Tag der Offenen Tür an irgendeiner Universität. Mit dem Unterschied, daß es sich hier um das angeblich so bedeutende 550jährige Jubiläum handelt! Ich hatte vorhin die Gelegenheit, mit dem nach eigener Aussage einzigen (!) Studierenden zu sprechen, der der Eröffnung der Wissenschaftsmeile heute beigewohnt hatte: Erwartungsgemäß soll es sich lediglich um die übliche Sponsorenlobhudelei gehandelt haben. Dafür also wurde der Rotteckring für die ganze Woche gesperrt. Eine nicht repräsentative Umfrage unter 5 am Montag in der Belfortstraße im Stau stehenden AutofahrerInnen ergab, daß dies eher als Störung denn als feierlicher Anlaß empfunden wird.

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Grund genug also, sich dahin zurückzuziehen, wo man glaubt, alle Überraschungen schon erlebt zu haben: in die Mensa. Am Dienstag bot man dort Jubiläumsessen (!) feil, ich entschied mich für das im Speiseplan als Schweineschnitzel „Wiener Art“ mit Bratkartoffeln und Pflücksalat (linkes Bild) angepriesene Gericht. Darauf, daß „Pflücksalat“ eine mir neue Bezeichnung des alltäglichen Mensa-Salats ist, der in dieser Woche allein unter 11 verschiedenen Namen angeboten wird, soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Wichtiger ist, daß sich das Menü nur durch das Stück Zitrone vom sonst üblichen Wiener Schnitzel unterschied. Jubiläumsessen eben. Die Bratkartoffeln waren wie so oft mehr Kartoffel als gebraten, das Schnitzel jedoch so zart, wie man es an der alltäglichen Schnitzeltheke nie erlebt, sich aber immer wünscht. Woraus es wohl war? Die Fußnote 1 (mit Schweinefleisch) taucht in der Menübeschreibung jedenfalls nicht auf.
Das rechte Bild zeigt meine heutige Wahl, das Tagesgericht unter der Bezeichnung Currywurst mit Pommes frites und Kraussalat. Was hier als Currywurst verkauft wird, entpuppte sich (zugegebener Maßen im letzten Drittel der Öffnungszeit) als eine Hand voll in Currysauce ertränkte Nürnberger, begleitet von immerhin nicht versalzenen Pommes. Die Jubiläumswoche enttäuscht also auch in der Mensa. Zum Glück war in der Rempartstraße bereits eine (Jubiläums-)Bratwurstbude in Betrieb, und so kam ich dann doch noch zu meiner Currywurst, auf die ich mich den ganzen Vormittag gefreut hatte.

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Eine Wurstbude in der Rempartstraße? Ja, denn auch diese ist anläßlich des Jubiläums gesperrt. Während die Jahre alte Forderung nach einer dauerhaften Sperrung weiterhin geflissentlich ignoriert wird kann man dort derzeit erleben, wie schön es um KG4 und Mensa ohne den Autoverkehr ist. Hierbei meine ich leider nicht die Geräuschkulisse, denn gestern wurde eine komplette Beachvolleyballanlage auf dem Werthmannplatz lautstark aufgebaut (linkes Bild) und heute noch lautstärker in Betrieb genommen (rechtes Bild). Was das mit dem Jubiläum zu tun haben soll konnte mir keineR der Umstehenden sagen. Immerhin werden dort die Deutschen Hochschulmeisterschaften ausgetragen. Warum dies aber ausgerechnet in der Prüfungsphase des ausklingenden Semesters und dann auchnoch in Hörreichweite dreier mit lernwilligen Studierenden gefüllten Bibliotheken geschehen muß ist weder zu erklären noch zu rechtfertigen. Es zeigt lediglich, daß das Jubiläum der Universität nichts mit den Studierenden zu tun hat und haben soll. Die Tribünchen sind so angeordnet, daß die ZuschauerInnen den Studierenden genauso den Rücken zuwenden wie die jubilierende Uni-Spitze. Eine Überspitzung? Mitnichten! Stellvertretend für einige schriftliche und viele mündliche Meinungen, die mich heute erreichten, hier ein Auszug aus einer Mail:

[…] Ich sitze in der Bibliothek der Theologie und versuche mich auf wichtige Prüfungen vorzubereiten. Leider ist es mir unmöglich mich zu konzentrieren, da zur Zeit ein sehr lauter, anhaltend störender Soundcheck durchgeführt wird. Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass dieses Jubiläum, wie auch schon viele andere Dinge, nicht für die Studierenden organisiert wurde. Andernfalls wäre es nicht genau in den Prüfungszeitraum gelegt worden! Ich frage mich, wie wir denn alle zu tatsächlichen Elitestudierenden werden sollen, wenn uns die Möglichkeit genommen wird, uns in Ruhe auf unsere jetzt anstehenden Prüfungen vorzubereiten?
Übrigens bin ich beeindruckt von dem tollen Programm, das sicherlich mit viel Mühe auf die Beine gestellt wurde. Leider muss ich aber auch mitteilen, dass ich auf Grund des erwähnten Prüfungszeitraumes keine Zeit haben werde, irgendeinem Programmpunkt beizuwohnen. Genauso geht es allen mir bekannten KomilitonInnen. Des Weiteren ist mir nicht klar, wie das Rektorat es geschafft hat, so viel Geld für die bauliche Aufpolierung unserer Universität zu erhalten, während das Budget für die Lehre kontinuierlich gekürzt wird und mit der Begründung, es sei kein Geld vorhanden, Studiengebühren eingeführt wurden. […]

Es bleibt das Gefühl vom Samstag. Den ganzen Vormittag verbrachten allerlei Exzellenzen beim Jubiläumsfestakt im Konzerthaus. An Karten dafür war praktisch nicht zu kommen. Für die wenig begeisterte Schar der Studierenden wurde eine Videoübertragung in einige große Hörsäle eingerichtet, während der Festsaal des Konzerthauses nur etwas mehr als halb gefüllt war. Entweder war ca. jeder zweite Gast der Einladung nicht gefolgt, oder man hatte die Studierenden von vornherein ausschließen wollen. Beides wirft alles andere als ein gutes Licht auf Jubiläumsorganisation und Rektorat. „Es geht hier nicht um die Studierenden, also muss man sie auch nicht einladen.“ wird der Festakt in einem bemerkenswerten Artikel bei fudder.de zusammengefasst. Die fünfminütige Rede, die man den Studierenden in Form von u-asta Vorstand Hermann J. Schmeh nach Diskussion zugestanden hatte, fand ein ausgesprochen positives Medienecho – auf der Uni-Homepage zum Festakt wird nichteinmal erwähnt, daß sie stattgefunden hat. (Update vom 12. Juli 07, 15:15 Uhr: Inzwischen hat man Hermanns Rede (aufgrund öffentlichen Drucks?) dort aufgenommen.) Kritische Beiträge sollen offensichtlich ebenso ausgeblendet werden wie die Hochschulrealität dieser Tage. Stattdessen ergeht man sich in der Selbstbeweihräucherung eigener Visionen und Trugbilder von Elitewahn, Wettbewerbsglorifizierung und Bologna-Irrwegen. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso war sich übrigens nicht zu schade, als dritter Ausweichkandidat nach Freiburg zu reisen. Papst, Bundespräsident und Kanzlerin hatten zuvor abgesagt. Auf den Boden der Tatsachen kam durch die Absagen jedoch niemand zurück.

Niemand? Hermanns Rede blieb nicht der einzige kritische Beitrag zum Jubiläum, das von einigen nurnoch spitz als Jäger-läum bezeichnet wird. Besonders hervorheben möchte ich hier das vor wenigen Tagen unter dem Titel „Die Misere der Freiburger Universität – Festschrift zum 550jährigen Jubiläum“ erschienene Pamphlet von Prof. Dr. Rüdiger Scholz, der von 1968 bis 2004 Dozent für Neuere deutsche Literaturgeschichte am Deutschen Seminar der Universität war. Sein Fazit:

Die Universität Freiburg ist keine Stätte der freien Wissenschaft mehr, sondern erniedrigt sich immer mehr zum Zulieferbetrieb für die Industrie. […] In der Ausbildung fungiert die Universität nur noch als Fachoberschule, mit Inseln wissenschaftlicher Forschung und Lehre. […] Die Selbstverwaltung der Universität ist zur Fremdverwaltung geworden, organisiert in rigiden Hierarchien eines industriellen Großbetriebes. […] Die Studierenden sind so stark entmachtet wie in den letzten 30 Jahren, abgedrängt auf ein bisschen Mitgestaltung in sozialen studentischen Belangen und ein wenig Kultur. […] Die Universität Freiburg ist heute eine Stätte strukturkonservativer Macher, autoritärer Herrschaft und servilen Duckmäusertums.

Einen anderen bemerkenswerten Beitrag lieferte Wolfgang Eßbach, Professor für Kultursoziologie an der Universität Freiburg. Er kritisierte z.B. schon 2004 und 2005 die Verstümmelung der Universitäten durch den Bologna-Prozess, so auch bei einem Vortrag am späteren Dienstag Nachmittag, der bislang leider keine Medienresonanz hervorrief.

Wir sehen also: „Wir sind die Uni.“, das Motto von Studierendenprotesten 2005 und Jubiläum 2007, ist ähnlich schwer greifbar wie „Wir sind Deutschland.“. Die Studierenden sind nicht das Jubiläum, aber sie sind die Uni. Die Sponsoren sind vielleicht das Jubiläum, aber sie sind auf keinen Fall die Uni. Das Rektorat möchte lieber mit Sponsoren die Uni sein als mit Studierenden. Diese feiern derweil ihr eigenes Jubiläum. 30 Jahre mundtot, 30 Jahre ohne Verfasste Studierendenschaft – und nun auchnoch Studiengebühren, mit denen man sich angeblich Mitsprache erkaufen kann. Diese wird aber erstens nicht gewährt und ist zweitens ein Recht, welches nicht erkauft zu werden braucht.

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No taxation without representation!“ steht groß auf einem Transparent hinter dem KG4, wohin sich die Fachschaft Politik mit ihrem Kaffeeverkauf vor dem oben erwähnten Beachvolleyballfeldaufbau geflüchtet hatte. In Anlehnung an das Bostoner Original veranstalten sie dort die „Freiburg Tea Party“ und protestieren auf kreative Weise für die Verfasste Studierendenschaft. Sie sind genauso die Uni wie die Teilnehmer an der Demo unter dem Motto „Wir haben nichts zu feiern“, die zum Ende des Festaktes durch die Stadt zog und sich für mehr Mitbestimmung sowie gegen Studiengebühren und deren Mißbrauch lautstark äußerte. Vor allem aber sind all jene Studierenden die Uni, die bereits heute, in den letzten Wochen vor Bologna, aufgrund immer weiter steigenden Leistungs- und Prüfungsdrucks nichts von den Jubiläumsveranstaltungen haben außer Lärm und anderen Beeinträchtigungen bei Prüfungsvorbereitungen und Prüfungen.

Es ist schwierig, nun ein Schlußwort zu finden, daher zitiere ich nochmals Prof. Scholz:

Bleibt keine Hoffnung? Gibt es nichts Positives? – Doch! Trotz alledem bleibt, wie seit hundert Jahren, durch die Anwesenheit auch von Studentinnen, durch alle Wechsel der Zeiten hindurch, die Universität ein gigantischer Liebes- und Heiratsmarkt, eine Stätte der gesellschaftlichen Abgrenzung der Studierenden nach unten, der akademischen Inzucht – ein kaum zu überschätzender Stabilisator der bundesdeutschen Klassengesellschaft.

Es lebe die Freiburger Universität!